Angst, Stärke und Liebe – was ich von meiner Mama gelernt habe
Warum ich das teile
Manchmal zeigt sich in Trauer und in Erinnerungen an unsere Eltern, wie sehr wir geprägt sind – und gleichzeitig, wie wir unseren eigenen Weg finden. Ich möchte diesen Text schreiben, um meiner Mama zu gedenken, meinem Vater zu danken und gleichzeitig sichtbar zu machen, wie all das in mir weiterlebt. Vielleicht erkennst du dich in der ein oder anderen Erfahrung wieder – vielleicht berührt es dich, über deine eigenen Wurzeln nachzudenken.
Ein weiches Herz – zum Andenken an meine Mama
Meine Mama ist vor Kurzem gestorben. Sie war ein Mensch mit einem unglaublich weichen und empfindsamen Herzen. Wer sie kannte, weiß: Sie hat jedes Lebewesen umsorgt, das ihr begegnete.
Die Amseln im Garten bekamen regelmäßig nicht nur die Brotkrumen vom Frühstückstisch, sondern immer noch extra ein paar Rosinen. Die Goldfische im Teich wurden täglich liebevoll gefüttert. Jedem Igel, der vorbeikam, hat sie rasch ein paar Leckerchen vor die Füßchen geworfen. Und sie hat es geliebt, wenn sie im Urlaub auf meine Katzen aufpassen durfte. Tierliebe war für sie etwas Selbstverständliches – und in dieser Fürsorge zeigte sich ihre ganze Seele.
Gleichzeitig war sie ein Mensch, den Ängste stark begleiteten. Schon als Kind hat sie den Krieg erlebt, saß im Bombenkeller und wuchs in einer Zeit auf, die von Mangel und Unsicherheit geprägt war. Ihre eigene Mutter starb, als sie gerade mit mir schwanger war – an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt. Später waren es oft die Nachrichten im Fernsehen, die sie bis ins Mark getroffen haben: Bilder von Hunger, Krieg, Leid. Sie konnte das nicht einfach an sich vorbeiziehen lassen – es ging ihr durch und durch.
Und so gab es beides in ihr:
Die Frau, die nach außen hin ihr Leben meisterte, auch dank meines Vaters.
Und gleichzeitig das kleine Mädchen, das in ihr sichtbar blieb – voller Angst, verletzlich, suchend nach Sicherheit.
Für mich war das nie leicht zu sehen. Ich habe so oft mitgefühlt, so oft versucht, sie zu verstehen. Und dadurch ist in mir etwas gewachsen: eine Sehnsucht nach Freiheit, nach der weiten Welt, nach Lebendigkeit, nach einem Leben, das nicht von Angst, sondern von Vertrauen und Offenheit getragen ist.
Meine Mama hat mich nicht bewusst darin bestärkt, meine Stärken zu leben. Aber sie hat mich – durch ihr Sein, durch ihre Ängste, durch ihre Zartheit – an meinen eigenen Seelenauftrag herangeführt. Es war, als hätte ihr Leben in mir die Frage wachgerufen:
Willst du dich von Angst bestimmen lassen – oder den Weg mit deinen Stärken selbstbestimmt gehen?
Der Macher – was ich von meinem Vater lerne
In diesen schmerzvollen Tagen des Verlusts sehe ich auch sehr klar, wie viel ich von meinem Vater habe. Er ist ein Macher, ein Stehaufmännchen. Selbst jetzt, in seinem Alter von 81 Jahren, kümmert er sich tapfer um sich selbst – kocht sein eigenes Essen, das er sonst immer liebevoll serviert bekommen hat, und zeigt dabei zum ersten Mal auch so viel Gefühl, Verletzlichkeit und Offenheit.
Die eigene Stärke erkennen
Diese Kombination aus Tapferkeit, Durchhaltevermögen und zugleich emotionaler Tiefe erkenne ich in mir. Sie zeigt mir, wie wertvoll es ist, beide Anteile zu leben: die zarte, verständnisvolle Seite, die fühlen und verbinden kann – und die kraftvolle, lösungsorientierte Seite, die Möglichkeiten findet, Wege geht und handelt.
Dieses Wechselspiel ist nicht immer leicht.
Aber all das fließt in das, was ich tue, wenn ich heute Menschen als Stärkencoach begleite, die an einem Punkt stehen, an dem sie nicht wissen, wie sie weitermachen sollen. Ich kann spüren, verstehen und gleichzeitig Lösungen finden. Ich kann Mut machen, weil ich selbst gelernt habe, aus Angst Stärke zu entwickeln – und dabei meine ganze Tiefe zu leben.
Schlusswort – ein Weg aus Liebe
Liebe Mama, lieber Papa, danke für alles, was ihr mir mitgegeben habt. Für die Liebe, die Fürsorge, die Zartheit, die Tapferkeit und die Stärke.
Heute gehe ich meinen Weg – mutig, Schritt für Schritt. Für mich. Für euch. Und für all die Menschen, die gerade an einem Punkt stehen, an dem sie Orientierung, Mut und Stärke brauchen.
Weil wir alle geprägt sind. Und weil wir gleichzeitig die Freiheit haben, die Stärke unserer Eltern in uns zu erkennen und sie weiterzutragen – in unserem eigenen Leben, auf unsere eigene Weise.
Lieber Leser, ich danke dir für das Mitfühlen in diesem persönlichen Beitrag.
Deine Sandra.
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